Die kalten Hände

8.16 Uhr. Die Türen des Raumes sind noch geschlossen. So sehr ich mich auch bemühe, ich höre nichts.

Nur vom Flur her sind um mich herum lauter bleiche Gesichter zu sehen. Nervöses auf dem Instrument hoch und runterkrabbeln. Sie haben alle feuchte Hände. Und natürlich gibt keiner zu, dass er Angst hat.

8.20 Uhr.

Ein Knacken der Türklinke, die nach unten gedrückt wird. Sofort ist es totenstill. Keiner krabbelt mehr auf seinem Instrument weiter.

„Der Nächste. Herr Busch bitte.“

Ein bleiches Gesicht kommt den Flur von hinten durch. Der Blonde mit der Brille. Er ist fast weiß. Durch ein Spalier von auf Stühlen und Blumenkübeln hockenden Cellisten geht er durch den Türrahmen. Wir sehen vom Raum nur das große, freie Parkett – und dass es hell ist. Und der Raum wohl riesig.

Dann ist die Tür schon wieder zu. Und auch das Schließen der zweiten Tür dahinter hören wir noch. Danach nichts mehr.

Das Gekrabbel der Wartenden geht weiter. Hoch auf dem Griffbrett und wieder runter.

Einer zieht kurz ein Taschentuch aus seiner Hose und wischt sich erst über die Stirn, dann über die Hände, schließlich am Griffbrett hoch und runter.

Die Zeit kriecht. Neben mir hält eine lange Töne aus. Wohl um sich zu beruhigen. Ich sehe, wie ihre rechte Hand zittert. Ob sie morgens Kaffee getrunken hat? Ich hab das ja nicht, weil ich genau weiss, dass meine Hand dann nicht ruhig bleibt.

„Sach ma, wer war dat eben? “ Die auf der anderen Seite neben mir hat Akzent.

„Buchstabe B,“ sage ich.

„Oh je, dat dauert ja noch äwig“.

„Bei mir zum Glück nich“, sag’ ich, „D ist bald dran.“

8.30 Uhr.

Die Tür geht wieder auf. Der, den Sie Herrn Busch genannt haben, kommt raus.

Ein älterer Mann kommt ihm entgegen, sieht ihn prüfend an.

„Und?“

„Axel, komm, sach schon!“

Axel zuckt die Schulter. „Den Prokofiev wollten sie gar nicht mehr hören, vom Hindemith nur die ersten 3 Takte, das reichte schon.

Aber sie sind ganz nett – doch, der vorne am Fenster blieb die ganze Zeit stehen. In München neulich haben sie sich unterhalten während ich spielte, da war eine Frau hinten am Tisch, die hat ne Caprisonne geschlürft – das war so laut, dass ich mein Pizz kaum gehört hab.“

Er geht mit seinem Vater weiter nach hinten, wo sein Kasten steht.

Die Tür ist zu. Keiner drin.

Wie lange beraten die denn, verdammt, das dauert ja ewig.

Laut Liste bin ich die Nächste. Ich schnappe meine Noten, nehme Cello und Bogen in die linke Hand und stelle mich an den Eingang. Gehe nervös zwei Schritte nach rechts, dann nach links. Und wieder zurück. Sage mir: Jetzt kannst du eh nix mehr machen. Jetzt bringt das Einspielen auch nichts mehr. Und die kalten Hände werden wohl kalt bleiben…